TikTok in USA unter Druck: Einer liberalen und selbstbewussten Demokratie unwürdig (2024)

TikTok in USA unter Druck: Einer liberalen und selbstbewussten Demokratie unwürdig (1)

US-Gesetz gegen Video-AppEin TikTok-Bann ist einer liberalen und selbstbewussten Demokratie unwürdig

TikTok in USA unter Druck: Einer liberalen und selbstbewussten Demokratie unwürdig (2)

Ein Kommentar vonMax Hoppenstedt

Das Gesetz, mit dem TikTok zum Verkauf gezwungen oder aus den App-Stores geworfen wird, zeigt: Die US-Politik versteht weder vom Internet noch von Jugendlichen besonders viel.

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US-Präsident Joe Biden hat diese Woche ein bemerkenswertes Gesetz unterzeichnet. Bemerkenswert weniger, weil es so schnell durch den Kongress ging. Sondern weil es eine Regelung ist, die explizit auf eine einzelne, von rund 170 Millionen Menschen in dem Land genutzte App zielt: TikTok. Ein Gesetz, das einer liberalen und selbstbewussten Demokratie unwürdig ist.

Es besagt: Mutterkonzern ByteDance muss TikTok innerhalb von neun, höchstens aber zwölf Monaten verkaufen – oder die App wird aus den US-App-Stores geworfen, könnte also darüber keine neuen Nutzerinnen und Nutzer mehr gewinnen und keine Updates mehr verteilen.

Präsident Biden und der Kongress und der Senat hätten besser daran getan, zielgerichtete Gesetze gegen die vielen Gefahren und Risiken von TikTok zu erlassen. Denn anstelle des Holzhammers gäbe es gegen alle Kritikpunkte, die meist durchaus zu Recht gegen TikTok vorgebracht werden, geeignete Maßnahmen.

X oder Telegram sind genauso voll mit Unwahrheiten

So etwa beim Datenschutz: Wenn sich die US-Parlamentarier wirklich so sehr um die digitale Privatsphäre sorgen, hätten sie eine wirksame Regelung gegen die überbordende Datensammelei der gesamten Techbranche vorlegen können. Ein solches Datenschutzgesetz haben die USA bis heute nicht. Davon abgesehen: Wenn die chinesische Regierung wirklich US-Bürger ausspionieren will, könnte sie viel umfassendere Daten für wenig Geld bei einem der zahlreichen berüchtigten Datenhändler kaufen, die in den USA noch immer operieren können.

Ähnliches gilt für die Warnung, dass TikTok zu einer prochinesischen Fake-News-Schleuder werden könnte. Im Zeitalter der digitalen Propaganda, die Extremisten und Demokratiefeinde weltweit befördert, ist das eine berechtigte Sorge. Doch nicht nur TikTok wird von potenziellen gefährlichen Falschinformationen geflutet, auch X oder Telegram sind voll davon.

Alle Social-Media-Anbieter müssten transparenter machen, welche Beiträge sie erlauben und welche sie löschen – anhand von konkreten Beispielen. Das wollen sie unbedingt vermeiden, weil sonst belegbar wäre, wie sehr sie bei der Löschung von strafbaren Inhalten versagen. Und wenn ein Posting nicht verboten, sondern nur eine Lüge ist, könnten prominent eingeblendete Faktenchecks helfen. TikTok etwa könnte dafür sorgen, dass Informationen von glaubwürdigen Medien und Partnern zu umstrittenen Themen wie dem Gazakrieg häufiger ausgespielt werden. Doch das würde dem Algorithmus von TikTok widersprechen, der eher jene Inhalte befördert, die viele Reaktionen hervorrufen. Es wäre Aufgabe eines Gesetzgebers, den App-Betreiber an solchen Stellen einzuhegen. Im nächsten Schritt müssten technisch fachkundige Behörden überprüfen, ob die Maßnahmen wirken – und, wenn nicht, Strafzahlungen verhängen.

Biden sendet mit seiner Unterschrift gleich zwei fatale Signale

Dass gesetzgeberischer Druck helfen kann, zeigt sich gerade in der EU. Hier hat TikTok diese Woche eine mutmaßlich süchtig machende Funktion wegen einer EU-Untersuchung zumindest ausgesetzt. Mit dem Gesetz für digitale Dienste hat die EU zumindest den Anfang einer effizienteren Internetregulierung gemacht, selbst wenn manches nicht ausreicht, anderes sich erst noch beweisen muss.

Auch einige Kongressabgeordnete taten diese Woche so, als sei das Anti-TikTok-Gesetz immerhin ein Schritt hin zu einer funktionierenden Internetregulierung. Das Gegenteil könnte der Fall sein: Man gibt auf, wirksame Netzpolitik zu machen, bevor man überhaupt damit angefangen hat. Und stärkt damit möglicherweise nur die Marktmacht der anderen Konzerne, die fast alle in den USA sitzen.

Joe Biden sendet mit seiner Unterschrift gleich zwei fatale Signale. Erstens wirkt es, als glaube man selbst in der mächtigsten Demokratie der Welt nicht, den schädlichen Seiten des Internets und der ungezügelten Macht der Techkonzerne eine zeitgemäße Regulierung entgegensetzen zu können. Denn das Problem liegt ja weniger darin, dass TikTok einem chinesischen Konzern gehört, sondern darin, dass es bisher keine Regeln gibt, um Schäden eindämmen, die eine solche App verursachen kann. Ein Verkauf von TikTok an andere Betreiber würde viele Probleme der App ja nicht auf magische Weise verschwinden lassen.

Zweitens entsteht der Eindruck, die US-Regierung traue der vor allem jungen Nutzerschaft von TikTok nicht zu, Manipulationen und Einflussnahme erkennen zu können. Dabei zeigen Studien wiederholt, dass ältere Menschen anfälliger für Fake News sind und dass sie weniger digitale Medienkompetenz aufweisen.

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Doch gerade für viele junge Menschen ist TikTok ein wichtiger Ort, um sich selbst auszudrücken. Für manche ist es Teil ihrer Identität. Das mögen manche kritisch beäugen und bedauern, aber Jugendkultur hat sich in den vergangenen Jahren eben von unkommerziellen Nischen des Netzes auf eine gewinnorientierte Plattform wie TikTok verlagert. Durch einen erzwungenen Verkauf und den angedrohten Bann dürfte sich diese Welt absehbar verändern, was für manche Digital Natives wie ein Angriff wirken muss. Nun kann sich ausgerechnet TikTok ihnen gegenüber als Hüter der Meinungsfreiheit aufschwingen. Dabei hat die Plattform in der Vergangenheit zum Beispiel queere Inhalte unterdrückt.

Trotzdem ist es peinlich für die US-Regierung, nur plump mit einem Verbot zu drohen. Besser wäre es, endlich kluge Gesetze für das Internet zu erlassen und sie dann auch durchzusetzen – gegen alle Unternehmen, die dagegen verstoßen.

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